Zwischen Schutz und Stigmatisierung: Für eine gerechte und inklusive Gesellschaft ohne Vorurteile
Artikel von Mitra Hashemi, Berlin 14.02.2025
Zunächst möchte ich mein tief empfundenes Mitgefühl für alle Betroffenen ausdrücken. Solche Gewalttaten sind durch nichts zu rechtfertigen, und wir verurteilen sie in aller Schärfe.
Als afghanische Geflüchtete, die im Iran aufgewachsen ist, habe ich selbst erfahren, was es bedeutet, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. Diese Erfahrungen haben mich geprägt und mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich für eine gerechte und inklusive Gesellschaft einzusetzen. In Deutschland habe ich Schutz gefunden, aber leider auch festgestellt, dass Rassismus und Vorurteile weiterhin ein Problem darstellenEs ist mir wichtig zu betonen, dass kriminelle Handlungen nicht von einer Nationalität oder einer Volksgruppe abhängen, sondern immer individuelle Straftaten sind, für die die Täterinnen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Dabei müssen wir aber auch anerkennen, dass solche Taten – insbesondere Gewaltdelikte – oftmals von Männern begangen werden. Diese geschlechtsspezifische Perspektive darf nicht ausgeblendet werden. Die Mehrheit von uns Afghaninnen sucht in Deutschland Sicherheit und möchte sich friedlich integrieren. Für diejenigen, die schwere Verbrechen begehen, fordern wir das volle Ausmaß der gesetzlichen Strafen. Gleichzeitig appelliere ich an die afghanische Gemeinschaft, wachsam zu bleiben und entschlossen zu reagieren, wenn sich Anzeichen für extremistisches oder gewalttätiges Verhalten zeigen sollten.
Besonders unsere Kinder und Jugendlichen liegen mir am Herzen. Sie sind am verletzlichsten und spüren Ausgrenzung und Vorurteile besonders stark – sei es in der Schule, im Alltag oder in den sozialen Medien. Unsere Gesellschaft darf nicht zulassen, dass sie den Mut verlieren, in Generalverdacht gestellt oder ausgegrenzt werden. Stattdessen müssen wir ihnen eine faire Chance geben, ihr Potenzial zu entfalten.
Aus feministischer Sicht ist es zudem nicht hinnehmbar, dass Frauen und Mädchen immer wieder die Leidtragenden sind – sei es in ihrer ursprünglichen Heimat, in Transitländern oder hier in Deutschland. Es kann nicht sein, dass ein afghanisches Mädchen wie zuletzt in Aschaffenburg stellvertretend für alle Afghanen um Entschuldigung bittet und sich damit opfert, um die „Ehre“ der gesamten Gemeinschaft zu retten. Tatsächlich sind es meist afghanische Frauen und Mädchen, die bei solchen Taten die eigentlichen Opfer sind oder die unter den Folgen von gesellschaftlicher Stigmatisierung am stärksten leiden.
Leider müssen wir immer wieder miterleben, dass rassistische Töne in Deutschland aufflammen – vor allem in Wahlkampfzeiten und in hitzigen Debatten in den sozialen Medien. Diese Diskussionen vergiften das Miteinander und schüren Angst und Verunsicherung bei allen. Was wir brauchen, sind geeignete präventive Maßnahmen sowie eine gründliche Analyse und Aufarbeitung der Geschehnisse – nicht Propaganda. Es ist bedauerlich, dass viele Politiker*innen diese Taten instrumentalisieren, um die Forderung nach einer härteren Migrationspolitik zu untermauern.
Was auf keinen Fall geschehen darf, sind Gespräche mit den Taliban, nur um schnellere Abschiebungen zu ermöglichen. Das wäre ein Verrat an allen afghanischen Frauen und Mädchen, die seit der Machtübernahme der Taliban noch stärker unterdrückt werden und deren grundlegende Rechte massiv beschnitten sind.
Trotz all dieser Herausforderungen bin ich dankbar, dass wir in Deutschland Schutz gefunden haben. Es ist ein Privileg, in einem Land leben zu dürfen, in dem jeder Mensch vor dem Gesetz gleich sein sollte. Was wir uns wünschen, ist eine Gesellschaft, in der wir als gleichwertige Mitbürger*innen anerkannt werden und in der wir gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten können – frei von Vorurteilen, Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt.
