„Writing Hawa“

Wenn Frauen endlich erzählen dürfen

Es gibt Filme, die über Afghanistan sprechen – und es gibt Filme, die aus Afghanistan sprechen. „Writing Hawa“gehört zu Letzteren. Und doch geht er noch einen Schritt weiter: Er lässt afghanische Frauen selbst sprechen, mit einer Ehrlichkeit und Nähe, wie sie selten zu sehen ist. Als Frau im Exil, die ihr Land durch Nachrichten, Erinnerungen und Stimmen anderer erlebt, hat mich dieser Film tief bewegt. Er zeigt das Leben nicht durch das Prisma der Macht oder des Krieges, sondern durch die stillen, unbeachteten Kämpfe im Innersten einer Familie – erzählt von einer Mutter, einer Tochter, einer Enkelin. Von Frauen, die selten gehört, noch seltener gesehen werden. „Writing Hawa“ ist eine stille Revolution. Im Zentrum steht Hawa, eine Mutter, Hausfrau und Angehörige der Hazara-Minderheit – eine Frau, wie sie millionenfach existiert und doch kaum je auf der Leinwand sichtbar wird. Analphabetisch geboren, beginnt sie im hohen Alter Lesen und Schreiben zu lernen, unterstützt von ihren Enkeln. In einem Land, in dem Frauen jahrzehntelang systematisch entrechtet wurden, ist dieser Schritt ein Akt des Widerstands – nicht laut, nicht öffentlich, aber tiefgreifend.

Writing-Hawa_Photo
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Parallel dazu verfolgt der Film das Leben ihrer Tochter Najiba, die als junge Frau unter der Republik ein Stück Freiheit erfährt, in Paris studiert und durch ihre Kamera beginnt, die Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Ihre Linse wird zur Brücke zwischen Welten: zwischen Kabul und Europa, zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen der Vergangenheit ihrer Mutter und der Zukunft ihrer Nichten. Doch dann fällt Kabul. Und alles, was für einen kurzen Moment möglich schien – Bildung, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung – droht wieder zu verschwinden. Besonders eindrücklich ist das im Blick eines jungen Mädchens spürbar, das nach der Machtübernahme der Taliban in alte Rollenmuster gedrängt wird. Es ist dieser Kontrast zwischen Aufbruch und Rückzug, zwischen Mut und Ohnmacht, der den Film so erschütternd ehrlich macht.

Die Kamera bleibt dabei stets respektvoll und nah. Sie beobachtet, statt zu bewerten. Sie zeigt, was sonst verborgen bleibt: die Küche, in der diskutiert wird; das Zimmer, in dem eine Frau still liest; die Tränen, die nicht inszeniert sind. 

Es sind Bilder, die man so aus einer afghanischen Familie noch nie gesehen hat – nicht, weil sie spektakulär wären, sondern weil sie wahr sind. Für mich ist „Writing Hawa“ mehr als ein Film – es ist ein Spiegel, ein Schmerz, eine Hoffnung. In Hawas leiser Entschlossenheit erkenne ich meine Mutter, in Najibas Kamera meine eigene Sehnsucht, zu bewahren, was uns genommen wurde. Und im Blick des jungen Mädchens sehe ich all jene Träume, die in Afghanistan erneut zu verblassen drohen.
Dieser Film ist mutig, weil er nichts beschönigt – und gerade dadurch so kostbar. Er schenkt uns Bilder, die nie für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und macht das Unsichtbare sichtbar: das Leben, das Leiden, die Stärke afghanischer Frauen.

Als Frau im Exil fühle ich mich durch „Writing Hawa“ nicht nur erinnert, sondern gesehen. Es ist eine filmische Antwort auf ein jahrzehntelanges Schweigen – und ein Aufruf, unsere Geschichten selbst zu erzählen, bevor sie uns ein weiteres Mal genommen werden. Es ist für uns eine große Ehre, gemeinsam mit der Regisseurin Najiba Noori diesen außergewöhnlichen Film bei der Dokumentale 2025 vorzustellen. 

Writing-Hawa_Photo
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In zwei Screenings laden wir das Publikum dazu ein, nicht nur zuzusehen, sondern mitzudenken, mitzuhören, mitzufühlen. Nach dem Film wird es jeweils eine Fragerunde geben – ein Raum für Austausch, Reflexion und Begegnung.

📍 Q&A mit Najiba Noori und Mitra Hashemi
🗓️ 15.06. – Atelier Gardens
🗓️ 16.06. – Kant Kino

Komm vorbei und lass uns diesen Film gemeinsam erleben. Deine Fragen, deine Gedanken, deine Gegenwart bedeuten viel – denn „Writing Hawa“ ist nicht nur eine Geschichte über Frauen in Afghanistan, sondern auch ein Gespräch über uns alle.

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