Mehr als nur Heimweh

Artikel von Mitra Hashemi, Berlin 05.06.24

In den letzten Tagen haben Berichte über Geflüchtete, die trotz ihres Schutzstatus in ihre Herkunftsländer reisen, für Aufsehen gesorgt. Besonders im Fall von Afghanistan, einem Land, das von anhaltenden Konflikten und einer unsicheren Sicherheitslage geprägt ist, stellt sich die Frage nach den Gründen für solche Reisen und den damit verbundenen Risiken und mögliche Konsequenzen.

Die Gründe für die Rückkehr nach Afghanistan sind vielfältig und individuell. Ein zentraler Faktor ist familiäre Bindungen: Viele afghanische Geflüchtete haben in Afghanistan enge Familienangehörige, die sie trotz ihrer Flucht nicht im Stich lassen können. Es gibt Fälle, in denen ein schwerer Krankheitsfall oder ein Todesfall in der Familie die Rückkehr notwendig macht. Auch wirtschaftliche Gründe spielen eine Rolle, etwa wenn Geflüchtete zurückkehren, um ihr Eigentum zu verwalten. Viele Afghanen mussten das Land plötzlich verlassen und hatten keine Gelegenheit, ihr Hab und Gut zu sichern. Häuser, Geschäfte und andere Besitztümer blieben ungeschützt zurück. In ihrer Abwesenheit besteht das Risiko, dass diese leerstehenden Gebäude von den Taliban oder anderen Gruppen besetzt werden. Eine Rückkehr könnte notwendig sein, um rechtliche Angelegenheiten zu regeln, das Eigentum zu schützen oder es zu verkaufen, um sich eine neue Existenz im Exil aufzubauen. Ohne die Möglichkeit, ihr Eigentum zu verwalten, könnten diese Geflüchteten schwerwiegende finanzielle Verluste erleiden, die ihre ohnehin schon schwierige Situation weiter verschlechtern würden.

Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass diese Entscheidung oft mit großer Angst und Unsicherheit verbunden ist. Viele Geflüchtete sind sich die Risiken bewusst, die sie eingehen. 

Die Entscheidung für eine Rückkehr nach Afghanistan ist mit erheblichen Gefahren verbunden, die weit über die allgemeine Instabilität hinausgehen. Das Taliban-Regime ist keine homogene Einheit, sondern besteht aus verschiedenen Fraktionen mit unterschiedlichen Interessen und Machtansprüchen. Dies führt zu einer willkürlichen Anwendung von Gesetzen und Vorschriften sowie zu einer hohen Wahrscheinlichkeit von unberechtigten Inhaftierungen, Folterungen und anderen Menschenrechtsverletzungen. Die Sicherheitssituation kann sich von Region zu Region stark unterscheiden, und selbst innerhalb einer Provinz kann es zu erheblichen Unterschieden kommen.

Besonders gefährdet sind diejenigen, die von den Taliban als Gegner betrachtet werden. Dazu zählen ehemalige Regierungsmitglieder, Mitarbeiter internationaler Organisationen sowie Menschen, die sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben.  

Die Gefahr von Entführungen ist allgegenwärtig. Sowohl kriminelle Banden als auch bewaffnete Gruppen entführen Menschen, um Lösegeld zu erpressen oder politische Ziele zu verfolgen. Diese Praxis hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und stellt eine erhebliche Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung dar.

Die Rückkehr kann daher über Leben und Tod entscheiden.

Die Entscheidung, in das Herkunftsland zurückzukehren, birgt nicht nur die oben genannten Sicherheitsrisiken, sondern hat auch erhebliche rechtliche Konsequenzen. Eine der gravierendsten ist der Verlust des Flüchtlingsstatus.

Im Jahr 2023 lebten etwa 400.000 Menschen afghanischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, von denen 60.000 einen sogenannten Blauen Pass, einen „Reiseausweis für Flüchtlinge“, erhielten. Reisen Personen mit diesem Pass in ihr Herkunftsland und kehren freiwillig nach Deutschland zurück, besteht laut Art. 1 Abschnitt. C Genfer Flüchtlings-konvention und §§ 73 ff. Asylgesetz die Gefahr, dass ihr Asylstatus und ihr Aufenthaltsrecht aberkannt werden. Neben Straffälligkeit oder einer verbesserten Situation im Heimatland kann auch eine Urlaubsreise dorthin den Verlust des Asylstatus zur Folge haben. Wenn also eine Person, die in einem anderen Land Schutz erhalten hat, in ihr Heimatland zurückkehrt, aus dem sie ursprünglich wegen Krieg oder Verfolgung geflohen ist, kann dies nach der Genfer Konvention als „Endigungsgrund“ für den Schutzstatus gewertet werden. In einem solchen Fall muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Aberkennungsverfahren einleiten. Eine automatische Aberkennung des Status erfolgt jedoch in einem Rechtsstaat nicht und Ob der Status tatsächlich aberkannt wird, hängt von den individuellen Umständen und der „Motivation“ für die Reise ab. Beispielsweise kann der Besuch einer Beerdigung eines nahen Verwandten unter bestimmten Umständen geduldet werden.

Die Verwendung des Wortes „Urlaub“ in diesem Zusammenhang ist besonders problematisch und irreführend, da sie suggeriert, dass Geflüchtete aus reinen Erholungsgründen nach Afghanistan zurückkehren. Dies verschärft die Situation erheblich, da es den Eindruck erweckt, dass Geflüchtete ihren Schutzstatus ausnutzen, um in Länder zurückzukehren, in denen sie angeblich in Gefahr sind. Solche Begriffe können das öffentliche Misstrauen gegenüber Geflüchteten weiter anheizen und die Debatte über ihre Glaubwürdigkeit auf eine unfaire Weise beeinflussen. 

Die Prämisse, dass Geflüchtete in Afghanistan Urlaub machen, ist eine stark vereinfachte und potenziell falsche Darstellung einer komplexen Situation. Sie ignoriert die individuellen Umstände jedes einzelnen Geflüchteten, die Sicherheitsrisiken, die mit einer solchen Reise verbunden sind, sowie die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Es ist wichtig, die individuellen Umstände jedes einzelnen Geflüchteten zu berücksichtigen und eine Politik zu entwickeln, die sowohl die Rechte der Geflüchteten als auch die Sicherheitsinteressen der Aufnahmeländer berücksichtigt.

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