Verwundet und vertrieben: afghanische Frauen in Deutschland
Artikel von Mitra Hashemi, Berlin 25.11.24
„Ich habe geglaubt, in Deutschland bin ich endlich sicher.“ Dieser Satz könnte von vielen geflüchteten Frauen aus Afghanistan stammen, die nach Jahren des Lebens unter den Taliban auf ein Ende von Gewalt und Unterdrückung hoffen. Doch für viele beginnt die Angst hier von Neuem – anders, subtiler, aber genauso zerstörerisch. Der 25. November, der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, erinnert uns daran, wie vielfältig und tief verwurzelt Gewalt sein kann – besonders für afghanische Frauen, die in Deutschland leben.
Nicht nur körperliche und psychische Gewalt, sondern auch rechtliche Abhängigkeiten und Drohungen mit Abschiebung nach Afghanistan machen vielen Frauen das Leben schwer. Manche, die den Mut aufbringen, sich gegen ihre Peiniger zu wehren, riskieren, alles zu verlieren: ihre Freiheit, ihren Status – und in manchen Fällen sogar ihr Leben. In den kommenden Absätzen beleuchte ich, warum diese Frauen trotz vermeintlicher Sicherheit in Deutschland immer noch gefangen sind – zwischen patriarchalischen Strukturen, systemischen Hürden und einer ständigen Bedrohung, die wie ein Schatten über ihnen liegt Gewalt in unterschiedlichen Formen
Afghanische Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind, tragen oft die Wunden und Traumata eines Lebens unter einem der restriktivsten Regime der Welt. Die Taliban-Herrschaft hat die Rechte von Frauen nahezu ausgelöscht und sie in vielen Lebensbereichen komplett entrechtet. Doch selbst in Deutschland sind diese Frauen häufig nicht sicher vor weiteren Formen von Gewalt.
– Körperliche und psychische Gewalt: Viele Frauen erleben weiterhin Gewalt durch ihre Ehemänner oder Familienangehörigen. Diese Gewalt ist oft nicht nur körperlicher Natur, sondern auch psychisch: Einschüchterung, Demütigung und soziale Isolation gehören zum Alltag vieler Betroffener.
– Drohung mit Abschiebung: Besonders perfide ist die Bedrohung durch rechtliche Unsicherheiten. Frauen, die im Rahmen der Familienzusammen-führung nach Deutschland gekommen sind, besitzen oft kein eigenes Aufenthaltsrecht. Ihr Aufenthalt hängt vollständig vom Aufenthaltsstatus ihres Mannes ab. Wenn sie versuchen, sich aus einer gewaltvollen Ehe zu befreien, werden sie nicht selten von ihren Ehemännern oder Schwiegerfamilien mit der Abschiebung nach Afghanistan bedroht. Diese Drohung ist nicht nur ein leeres Versprechen – es gibt dokumentierte Fälle, in denen Frauen tatsächlich abgeschoben wurden, nachdem sie den Mut aufgebracht hatten, sich gegen ihre Peiniger zu stellen.
Ein besonders tragischer Fall illustriert die bittere Realität vieler afghanischer Frauen in Deutschland: Rahima, eine junge Frau aus Berlin, wurde gestern den 24.11.24 von ihrem Ehemann nach Afghanistan abgeschoben – eine Tat, die so unfassbar wie erschütternd ist.
Rahima war 2022 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen und somit rechtlich vollständig von ihrem Ehemann abhängig. Als sie begann, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen, auf europäische Weise zu kleiden und ein Verhalten an den Tag zu legen, das ihr Mann als „zu frei“ empfand, eskalierte die Situation. Die Vorwürfe der „Freizügigkeit“ und des „europäischen Lebensstils“ dienten ihrem Ehemann als Rechtfertigung, sie aus der gemeinsamen Wohnung zu drängen. Doch er ging noch weiter: Er organisierte ihre Abschiebung nach Afghanistan – ein Akt der absoluten Kontrolle und Machtdemonstration, bei dem er sowohl ihre rechtliche Abhängigkeit als auch die patriarchalen Strukturen systematisch ausnutzte.
Rahima sitzt nun in Afghanistan fest, in einem Land, das Frauen wie sie als „moralisch verdorben“ stigmatisiert und wo ihr Leben in großer Gefahr ist. Dieser Fall zeigt, wie Gewalt gegen Frauen nicht nur körperlich oder psychisch ausgeübt wird, sondern auch durch institutionelle Lücken und rechtliche Abhängigkeiten, die solche Handlungen ermöglichen.
Dieser Vorfall wirft dringende Fragen auf: Wie kann es sein, dass ein Mann solche Macht über das Schicksal seiner Ehefrau hat? Warum gibt es keinen effektiven Schutzmechanismus, um Frauen wie Rahima davor zu bewahren, Opfer solcher menschenverachtenden Handlungen zu werden? Und wie kann ein demokratisches Land wie Deutschland verhindern, dass Frauen in eine Situation zurückgeschickt werden, in der ihr Leben bedroht ist?
Rahimas Geschichte ist ein erschütternder Weckruf und ein Appell an Politik und Gesellschaft, sich für den Schutz geflüchteter Frauen einzusetzen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen dringend zu reformieren. Kein Mensch sollte so ausgeliefert und schutzlos sein.
– Institutionelle und systemische Gewalt: Die gesetzlichen Regelungen zur Familienzusammenführung setzen Frauen in eine besonders verletzliche Lage. Ohne eigenständiges Visum sind sie nicht nur rechtlich, sondern auch finanziell und sozial von ihren Ehemännern abhängig. Selbst wenn Frauen bereit sind, rechtliche Schritte einzuleiten, stoßen sie oft auf Hindernisse wie Sprachbarrieren, mangelnde Unterstützung durch Behörden oder fehlende rechtliche Aufklärung.
Die patriarchalischen Strukturen, die viele afghanische Frauen aus ihrer Heimat kennen, enden nicht an den deutschen Grenzen. Sie setzen sich in den engen Netzwerken der Community fort, wo oft Druck ausgeübt wird, traditionelle Geschlechterrollen zu wahren. Frauen, die versuchen, sich zu emanzipieren oder gegen Missstände aufzubegehren, werden nicht nur von ihren eigenen Familien sanktioniert, sondern riskieren auch soziale Ächtung in der gesamten Gemeinschaft.
Am Tag gegen Gewalt an Frauen muss Deutschland mehr tun, um die besonderen Bedürfnisse geflüchteter Frauen anzuerkennen und zu adressieren. Es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes, der sowohl rechtliche als auch gesellschaftliche Veränderungen umfasst:
- Unabhängige Aufenthaltsrechte für Frauen: Frauen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen, sollten sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, um ihre Abhängigkeit von ihren Ehemännern zu reduzieren.
- Sichere Schutzräume: Der Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen mit interkultureller und sprachlicher Kompetenz ist essenziell, um geflüchteten Frauen Schutz und Unterstützung zu bieten.
- Aufklärung und Sensibilisierung: Behörden, Sozialarbeiter und die deutsche Öffentlichkeit müssen über die spezifischen Herausforderungen und Bedrohungen, denen afghanische Frauen ausgesetzt sind, besser informiert werden.
- Klare gesetzliche Regelungen: Es braucht klare und unbürokratische Verfahren, um Frauen vor einer Abschiebung zu schützen, insbesondere wenn sie in einer gewaltvollen Beziehung gelebt haben.
- Stärkung von Netzwerken: Der Aufbau von Netzwerken und Selbsthilfegruppen, die Frauen unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen und sich zu emanzipieren, ist von zentraler Bedeutung.
Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem, das insbesondere marginalisierte Gruppen wie geflüchtete Frauen härter trifft. Der Kampf gegen diese Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Empathie, Mut und Engagement erfordert. Der Tag gegen Gewalt an Frauen ist eine Erinnerung daran, dass wir nicht nur die Gewalt selbst bekämpfen müssen, sondern auch die Strukturen, die sie ermöglichen – und dass wir besonders die Stimmen derjenigen stärken müssen, die oft überhört werden.